Die Messung von Armut ist für staatliche Sozialpolitik von grundlegender Bedeutung, da sie zur Bestimmung der Zielgruppen sozialer Fürsorge- und Sicherungspolitiken unerlässlich scheint. Allerdings bleiben die Adäquanz der zugrundeliegenden Definitionen und die Gültigkeit der angewendeten Verfahren äußerst umstritten. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion werden monetäre Armuts-Grenzwerte seit langem als reduktionistisch kritisiert, und es wird vorgeschlagen, sie durch multidimensionale, dynamische und partizipative Ansätze zu ergänzen oder ganz zu ersetzen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen nahm diese Kritik auf und verfolgt ein ganzheitliches „Human-Armuts“-Paradigma, dass Armut als Folge einer Verweigerung von Verwirklichungschancen fasst. In der öffentlichen Diskussion ebenso wie der praktischen Entwicklungspolitik dominiert dagegen weiterhin der Armuts-Grenzwert von einem US-Dollar (Kaufkraft-Parität) pro Person und Tag, den die Weltbank 1990 festlegte und 2005 auf 1,25 Dollar erhöhte. Aus unterschiedlichen Definitionen ergeben sich verschiedene Strategien und Zielgruppen der Armutsbekämpfung.

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doi.org/10.1007/978-3-658-04790-0_15, hdl.handle.net/1765/98723

Berner, E. (2016). Un-fassbare Armut: Definitionsprobleme und politische Brisanz. In Handbuch Entwicklungsforschung (pp. 169–180). doi:10.1007/978-3-658-04790-0_15